Lausitzer Rundschau
Jakubaschk konzentriert sich bei dem vielfach deutbaren Kafka-Text auf die Verwandlung in Gregors Umfeld. Das ist sowohl legitim als auch äußerst zeitgemäß. Das Fremde, Andersartige wird einfach herabgesetzt, ausgegrenzt, entmenschlicht, erniedrigt und daraus schließlich auch noch Kraft für die eigene Selbsterhöhung gezogen.
Auf dem sparsam verbliebenen Bühnenraum – ein Symbol für die Einschränkungen, die die Familie empfindet – agieren überzeugende Darsteller. Beeindruckend, wie sie mit dem weitgehend in der Erzählform bleibenden Text umgehen, den Figuren Individualität verleihen und ihre Verwandlung nachvollziehbar machen.
Ein zurecht mit viel Beifall bedachter Theaterabend, ebenso unterhaltend wie nachdenklich stimmend.
Lausitzer Rundschau
Helle Farben und mit rötlichem Haar verweisen auch Kostüme und Masken (Ausstattung: Annegret Riediger) in jene Zeit der Kaiserreiche vor 103 Jahren – Untertanen pur spielen ein puritanisches Familiendrama in wirklich kafkaesker Gestik und Ästhetik und mit einem halbrunden Vorhang, bestehend aus den Stoffmustern des Handlungsreisenden, der als bisher alleiniger Ernährer längerfristig auszufallen droht, woher auch die ganze Aufregung rührt. Dass alles wird ganz fein ziseliert vorgetragen: die Blickbeziehungen, die Abstände der Akteure zueinander, deren wohlfeile Bewegungen, die ganz selten in echte Gemütslagen Einsicht geben, sondern frostig in eine Zeit weisen, als Etikettenschwindel eine Tugend wie Keuschheit war – all das ist in sich ganz stimmig. Ebenso die Musik, die Gastspieler Manz in bewährter Wiese einspielte.
Dresdner Neueste Nachrichten
Die Inszenierung von Kafkas »Verwandlung« am Staatstheater Cottbus kommt gut ohne Käferkostüm aus und auch fast ohne die Hauptfigur Gregor Samsa. Mehr geht es um die Familie dieses Handelsvertreters, der bisher immer viel auf Reisen war, nun aber in einem Zimmer lebt, vor dem sich das Stück abspielt. Zimmer und Bühne sind durch schwere Vorhänge in Schwarz, Grau, gedämpft Grün, Tiefblau abgetrennt – ein depressives Farbenspiel in einer scheinbar undurchdringlichen Mauer.
Durch diese Vorhänge stürzt zu Beginn die Familie auf die Bühne: Vater, Mutter, Schwester, Dienstmädchen und Prokurist (später auch Miterzähler und Freund der Schwester). Alle mit Taschentüchern vor dem Mund, kurz davor, sich zu übergeben, puppenhaft in ihren Bewegungen, künstlich in Mimik und Haartracht (orange gefärbt, steif). Die Kostümierung ist typisch kleinbürgerlich. Köstlich hämmert die Mutter bei einem übertriebenen Asthmaanfall gegen die Rüschen ihrer Bluse und zieht dem Vater, weil Besuch kommt, »ordentlich« die Weste runter.
Schon in der ersten Szene spricht die Schwester berühmte Worte vom Ende der Erzählung: »Man muss sich einfach klarmachen, dass er kein Mensch mehr ist!« Dabei weint sie, und dem Zuschauer wird erschreckend bewusst: Hier wird einem, weil er eklig, schmutzig, anders als gewohnt, »tierähnlich« geworden sei, von den engsten Angehörigen sein Menschsein abgesprochen. So was gibt’s jeden Tag tausendmal im Pflege-, Flüchtlings- oder Behindertenheim, in der Psychiatrie, im Gefängnis, in der ganz normalen Familie.
Wie es zu dieser schaurigen Feststellung kommen konnte, wird im Stück von Ronny Jakubaschk rückblickend untersucht. Um sich zu rechtfertigen, erzählt die Familie das Ganze noch einmal von vorn, Szenen werden als Spiel im Spiel nachgestellt. Das ist originell, und es wird schauspielerisch glänzend umgesetzt. Der Vater erscheint unsagbar schwach in seiner Despotie, die Mutter depressiv und vorwurfsvoll, die Schwester nett und mutig.
Alle lebten vom Geld Gregors, der sich im Stück nur einmal zeigt, fast: Als der Prokurist ihn ins Büro holen will, wölbt sich unter Maschinenklängen der Vorhang da
und dort wie von überlebensgroßen Körperteilen – zur größten Panik aller Beteiligten.
Schnell wird die Angst überdeckt durch Künstlichkeit und Wut. Hinter der Fassade aus gewollter Bürgerlichkeit schwelt die Aggression. Der Vater rast mit einem
Regenschirm in Gregors Zimmer, schlägt dem Sohn schlimme Wunden. Der bleibt bei seiner Verweigerung, durchbricht die familiäre Ordnung, indem er zeigt, wie er sich immer schon immer gefühlt hat: nicht zugehörig.
Dadurch, dass die Schauspieler abwechselnd erzählen, sich ans Publikum wenden und dann wieder Szenen nachspielen, kommt eine reflektierende Ebene in das Stück, die in der Erzählung ja die ganze Zeit vorherrscht. In den Spielszenen halten sich die Darsteller aneinander fest, streben auseinander, toben, weinen, offenbaren sich, und am Ende herrschen Glück und Jubel, weil Gregor tot ist; hell wird es, Türen öffnen sich.
Gregor war schon das Unglück der Familie, als er sich für sie verausgabte. Vater, Mutter und Schwester fühlten sich nutzlos, wurden launisch, anspruchs- und vorwurfsvoll. Die Verwandlung macht hier die Familie durch, die sich von lähmenden Ritualen verabschiedet, aufrafft, zusammenreißt. Die Mutter ist nicht mehr krank, der
Vater nicht mehr schwach, die Schwester kann endlich heiraten. Alle nehmen ihr Leben in die eigenen Hände.
Bei geöffneten Vorhängen kehrt das ewig außerhalb stehende Dienstmädchen im Gegenlicht die Überreste des Nonkonformisten, Neinsagers oder Revolutionärs in
zwei dicke graue Mülltüten. Das Stück verwandelt selbst die Zuschauer. Sie kommen ins Nachdenken.
Die Junge Welt