Regisseur Ronny Jakubaschk hat sich in die Kammer des Aachener Theaters eine Art Spirale aus Metall-Kabelschächten bauen lassen, die sich zu vier großen Bühnenrahmen auffächert. Darin stehen meist parallel zum Rahmen angeordnet die Schauspieler: gefasst in einem gemeinsamen Bild – und mit den zwei Meter Normabstand voneinander, die ihnen die Inszenierung verordnet, zugleich jeder ein Bild für sich. Bewegungen gibt es kaum. Die Hände stecken in Hosen- und Jackentaschen oder sind vor der Brust verschränkt. Der Blick wandert vom Mitspieler nach vorne zum Publikum, als betrachte man durch eine Panoramascheibe eine Landschaft.
Den Dialogen ist so auch immer ein zweifacher Monolog unterlegt: In dieser Fass-mich-nicht-an-Inszenierung agieren isolierte Solitäre, die schon bei einem "Wie geht's dir, Schatz?" unwillkürlich einen Schritt zurückweichen und, ist doch einmal eine Umarmung fällig, gleich einen Heulkrampf bekommen oder unbeholfen den Rücken des anderen betatschen.Bettina Scheuritzel ist eine herbe Harper Regan, in der es langsam aber unaufhaltsam mahlt. Zu welchem Entschluss eine Frau wie sie auch immer kommt, sie kann nicht anders. Schwer arbeitet es in ihr, beim Sprechen schüttelt sie beinahe unmerklich den Kopf, als könne sie das Gesagte noch nicht fassen.Am Anfang, als ihr endlos herumschwadronierender Chef (Rainer Krause) sie plötzlich prüfend ansieht, senkt sie aus Scham vor ihrem Leben den Blick. Am Ende berichtet sie ihrem Mann (Joey Zimmermann) ungerührt von ihrer Affäre. Der steht wie Falschgeld mit süßsaurem Lächeln da, atmet einmal tief durch und benötigt jetzt auch die zweite Hand, um das Kaffeeglas zu halten.
Aber mehr braucht die Aufführung auch nicht, um dem Text den Raum zu öffnen.
Nachtkritik
Regisseur Ronny Jakubaschk und Ausstatter Matthias Koch haben die ewige Suche nach Sinn und Erfüllung in einer rahmenartigen Stahlkonstruktion spotartig ausgeleuchtet. Eine Ansammlung von Gläsern auf dem Boden dient als Requisite. Bei den Kostümen dominiert die Farbe Grau.
Harper Regan (Bettina Scheuritzel), eine Frau mit resoluter Tochter (Emilia Rosa de Fries) und einem stillen, gebrochenen, joblosen Ehemann (Joey Zimmermann) will den sterbenden Vater besuchen und sucht beim aalglatt taktierenden Chef (Rainer Krause) vergeblich nach Spuren von Mitgefühl.
Der Kurzurlaub wird nicht bewilligt. Harper desertiert von der Pflichterfüllungs-Front und verheddert sich bei der Suche nach menschlicher Nähe. Der Junge Tobias (Felix Strüven) und der routinierte Lover James (Benedikt Voellmy) sind von Eigenproblematik überschattete Trostspender.
Ein Journalist mit antisemitischen Tönen (Philipp Manuel Rothkopf) weckt animalische Wut in der Reisenden. Eine Zwischenstation bei der Mutter (Elisabeth Ebeling) lässt vergrabenen Groll aufbrechen. Irgendwann will Harper nur noch Wahrheit ohne schönen Schein, Angepasstheit und Heuchelei.
Sie kehrt zurück ins eigene Heim, wo sich der Ehepartner nach einer Anklage wegen angeblicher Kinder-Pornografie-Aufnahmen und dem Jobverlust in schöne Träume rettet. Sie löst sich von der Mutter, die immer darauf wartete, dass endlich das Leben beginnt und wendet sich der Gegenwart zu.
Schwermütige Gitarrenklänge (Musik Sebastian Bandt) verbinden die szenischen Momentaufnahmen miteinander. Ein kurzer sinnlicher Reiz entsteht beim Gluckern des Kaffeestrahls im Arsenal der Gläser. Im Übrigen zwingt Abstraktion zum Einsatz der inneren Leinwand des Zuschauers.
Warum sind alle so grausam zueinander und wie lebt man sein Leben richtig? fragt sich Harper. Eine schlüssige Antwort kann die knapp zweistündige und Aufmerksamkeit erfordernde Studie von Simon Stephens nicht geben. Aber sie kann Anstöße vermitteln, die zur eigenen Standortbestimmung führen.
Die schauspielerische Leistung des Ensembles, voran Bettina Scheuritzel, Elisabeth Ebeling und Emilia Rosa de Fries führt zu einer Art inwendigen Perspektive. Rainer Krause zeigt sich authentisch und wandlungsfähig. Alle Akteure pendeln zwischen stiller Intensität und stimmiger Ausdrucksstärke.
Am Ende gab es lang anhaltenden Beifall für die puristische Umsetzung eines Stücks über die menschliche Natur mit all ihren Widersprüchen, behaftet mit Schuldgefühlen, Hassattacken, Resignation und Fluchtinstinkten.
Euregio
Ein wahrer Glanzpunkt ist der Auftritt von Elisabeth Ebeling als Harpers Mutter. Faszinierend echt zwischen egoistischem Lamento, weiblichen Allüren und Tragik brilliert die Schauspielerin im Duett mit Scheuritzel als Tochter. Eine typische Mutter/Tochter-Konstellation stellt sich da berührend und spannend dar. Die Reise zu sich selbst endet im verwirrenden Schluss mit glücklich vereinigten Familienmitgliedern im sonnigen Morgenlicht. Wirklich ein Neuanfang? Oder doch nur trügerische heile Welt? Viel Beifall für die 90-minütige Reise.
Aachener Nachrichten
Bettina Scheuritzel spielt eine klasse Harper Regan. Zu Beginn zu nett, immer mit eingezogenen Schultern, wirkt sie fast lebensmüde und ohne Elan. Jeder Entschluss, den sie trifft, scheint vorprogrammiert. Bis sie mit ihrer Rolle bricht. Am Anfang hätte man es der schüchternen Harper wohl nie zugetraut, dass sie in einem Pub den großschnäuzigen Mickey anbaggert, ihn für eine Lederjacke zusammenschlägt, um sich anschließend per Internet mit einem Lover für flotten Hotelzimmersex zu verabreden.
Als Haper ist sie ständig in Aktion, trifft im Stationsstück auf ihre Kollegen, die zum Teil mehrfach besetzt sind und in ihrer jeweiligen Rolle – und mag die Episode noch so kurz sein – eine Punktlandung auf der Bühne erzielen und mit Scheuritzel immer tiefer in die Geschichte eintauchen.
Passend zum Stück hat Matthias Koch, der in der Vergangenheit schon öfter mit dem Regisseur zusammen gearbeitet hat, ein Bühnenbild entworfen, dass sich in Form einer Spirale in die Tiefe der Bühne schlängelt und den einzelnen Episoden damit einen visuellen, metallischen Rahmen gibt.
klenkes