Wenn's schon draufsteht, muss es ja stimmen: "Cetacea" (Wale) prangt auf der altmodischen Vitrine im Zentrum der Bühne. Darin: ein Mensch. Voluminös zwar und in blauer Kleidung. Aber doch ein Homo sapiens. Sein Name: Alexander. In Leon Englers Stück "Die Benennung der Tiere" liegt er schon zu Beginn in den Gleisen einer U-Bahn-Station, die hier mit in der Vitrine stecken. Und weil er so dick ist und sich selbst mit Tiernamen beschimpft, beschließen die, die ihn dort finden – Passantin Helena und U-Bahn-Wache Oskar –, dass er ein Wal sein müsse. Ist ja auch die idealere Projektionsfläche als ein dicker Loser. Während er also auf den Schienen liegt und blutet, reden um ihn herum die Schönen und Reichen, aber auch die Durchschnittsmenschen von ihren Sehnsüchten und Kümmernissen und schrammen dabei ständig am Eigentlichen vorbei: einen Menschen zu retten.

Skurril und ziemlich witzig ist Englers Stück, das – nach szenischen Lesungen sowohl beim Heidelberger Stückemarkt als auch beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2018 – nun in Halle uraufgeführt wurde. Hier prallen die großen Seinsfragen aufs Banale – Englers gefräßiger Held Alexander etwa rutscht ausgerechnet auf einer Leberwurststulle aus. Stellenweise wirkt das wie eine Mischung aus Wolfram Lotz und Ferdinand Schmalz. Engler reißt Sinnfragen und sonstige Gegenwartsthemen an wie ein ungeduldiges Kind, um sich an ironisch funkelnden Dialogen zu erfreuen.

In Halle nimmt Regisseur Ronny Jakubaschk Englers leichten Ton ernst – und macht aus "Die Benennung der Tiere" ein veritables Singspiel, das den Blick für die Klassenunterschiede schärft. Beides ist zwar schon bei Engler angelegt. Aber Ausstatterin Anna Sörensen hat die Promis, die Alexander vermeintlich zu Hilfe eilen, in Variationen des Gleichen gesteckt: rote Lockenperücken über weißen Gesichtern, Anzüge mit Dollar- und Leopardenmuster. Höchst künstliche Virgin Queens sind sie, Elon Musk (der Auto- und Raketenbauer), König Mswati III. aus Swasiland (der letzten absolutistischen Monarchie in Afrika) und Modebloggerin Chiara Ferragni. Jörg Kunze aber pumpt mit seinem sich vor großen Vorbildern verneigenden Soundtrack mit Songs von ironischer Eleganz Leichtigkeit in den Abend.

Der beginnt erst einmal erstaunlich trocken: Bettina Schneiders Helena findet Nils Thorben Bartlings verzweifelten Alexander in der Vitrine, in der tatsächlich Schienen liegen und eine Bahnsteigkante. Am Notruf-Telefon wirkt sie ernsthaft besorgt. Aber schon das Fachgespräch mit der pedantischen U-Bahn-Wache Oskar – Till Schmidt versprüht den spröden Charme eines Hausmeisters – über Tier- und Leberwurstsorten verschiebt den Diskurs ins Surreale. Wenn Schmidt dann auch noch unter Hochdruck vom Wal als der letzten Hoffnung "für uns kleine Leute" singt zwischen Zarzuela und Brecht, erreicht der Abend zum ersten Mal Betriebstemperatur.

Nach und nach kommen jetzt die potentiellen Heilsbringer hinzu, die sich allesamt als um sich selbst kreisende Würstchen entpuppen: Nils Andre Brünnings eitles Babyface (Tesla-Gründer Elon Musk) und Alexander Pensels König, ein schnöseliger Knabe, klauen dem Wal erst das Wasser, um später mit den leeren Flaschen dessen Vitrine zu bewerfen. Nora Schultes Bloggerin quietscht als aufgedrehtes Selfie-Girl herum. Die Drei, die doch nichts dran drehten: Babyface Musk, ein aufgedrehtes Selfie-Girl und ein schnöseliger Königsknabe: Nils Andre Brünnig, Nora Schulte, Alexander Pensel.

Es ist ihnen allen hoch anzurechnen, dass sie Karikaturen schaffen, ohne hemmungslos zu überzeichnen. Aber keine*r von ihnen kann so herrlich deprimiert auftrumpfen wie Elke Richters Elfriede Jelinek. Jelinek steckte – so will's der Text – die ganze Zeit im Chiara-Ferragni-Kostüm, weil sie auch mal ein normales Leben führen wollte. Hier verschwindet Schultes Bloggerin hinter der Vitrine und Richter kommt als Lookalike hervor, nur 30 Jahre älter. Eine müde Herrscherin, halb Schiller-Königin, halb Nobelpreisträgerin mit müde-eleganter Suada. Hinreißend, wie sie über kleine Schwänze schimpft, nach ihrer Valium kramt und überall die Phallokratie wittert. Immer, wenn sie von Sex spricht, krümmt sich Swasi III., der so gierig mit Ferragni angebandelt hatte, und klammert sich fest an den Schuh, den er von der Bloggerin behalten hat.

Später besingen die drei in goldschimmernden Barockkleidern madrigalhaft die Kartoffel, finden Helena und Oscar den Eingang zum Wal, weil sie sich von diesem Gang Rettung erhoffen wie die des biblischen Jona, hört Alexanders Herz auf zu schlagen. Das ist zugleich alles sehr komisch und sehr traurig, weil die Menschen auf der Bühne die ganze Zeit nur einen Schritt von der (Wal-)Rettung entfernt sind, sich aber mit ihrer Heilserwartung selbst im Weg stehen.

nachtkritik

spieltermine 24/25

 

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richter und henker

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